Dunkelheit – wie wir uns der Dunkelheit im Außen und Innen stellen können

Katrina Gora • Nov. 12, 2023

Der November ist angebrochen und es wird eindeutig immer dunkler und kälter. Die Bäume verlieren ihre Blätter und die Welt um uns herum verliert etwas von der fröhlich-bunten Energie, die gerade noch so spürbar war. Und auch in mir ist gerade Winter. Ich blute und habe mit Vergänglichkeit, Abschied und Einsamkeit zu tun.


Wie können wir gut damit umgehen, wenn es Außen und Innen dunkler wird und es sich anfühlt, als hätten sich all die schönen Gefühle zum Winterschlaf zurückgezogen?


Ich weiß, welche meine liebste Strategie dafür ist: Ich finde so schnell wie möglich eine Lösung für das vermeintliche Problem.


Kommt dir das bekannt vor?

Die Idee, dass es nur eine Lösung braucht und du dann wieder fröhlich und zufrieden sein kannst?


Manchmal kann das helfen, aber oft verstricken wir uns damit nur noch mehr in die Abwärtsspirale. Zu den unangenehmen Gefühlen gesellen sich jetzt auch Selbstabwertung und Wut, die sich auf uns selbst richtet, denn ist nicht schnell eine Lösung gefunden, drängen sich bald Gedanken auf wie „Jetzt bin ich auch noch zu blöd eine Lösung zu finden.“


Was also, wenn die Strategie der Problemlösung gerade nicht greift?

Anstatt weiter im Kreis zu laufen und sich selbst zu kasteien, weil es nicht voran geht, halte inne.

Bemerke und benenne die Gefühle, die sich in dir breit machen. Rede in Gedanken (oder auch laut) mit dir selbst, wie mit einem geliebten Kind. „du bist gerade ganz schön traurig.“ „Das fühlt sich nicht gut an.“ Und dann schau, ob du in dir Mitgefühl für dich selbst finden kannst. Dieses milde, warme Gefühl, dass du auch diesem geliebten Kind entgegen bringen würdest. Wie fühlt es sich an, wenn du dir selbst sagst: „Ich sehe dich in deinem Schmerz und ich bin für dich da.“


Im Hinduismus wird die Göttin Kali als die Göttin der Dunkelheit, der Zerstörung, des Todes und der Erneuerung verehrt und auch in anderen Kulturen findet diese Art von Energie in Gottheiten oder anderen Symbolen ihren festen Platz. Genau wie es Tag und Nacht auf der Welt gibt, gibt es auch in allen anderen Kreisläufen Dualität. Licht und Dunkel, Wärme und Kälte, Freunde und Schmerz. Wie leben in einer Welt der Dualität. Wenn wir einmal den Fokus von uns selbst wegnehmen und unsere Perspektive erweitern indem wir das Bild von uns nehmen und rauszoomen, sehen wir möglicherweise wie vermessen es wäre zu fordern, dass immer nur die Sonne scheint. Wie rastlos wir wären, wenn immer nur Tag wäre und wie wenig uns die Wärme wert wäre, wenn wir nicht auch wüssten wie es ist zu frieren.

Wenn Kali angerufen wird, dann um ihre unbändige Kraft zu erbitten. Die Kraft sich von Altem zu lösen und dem Schmerz zu trotzen der mit Transformation einher gehen kann. Verbrennt das Alte, damit die Asche das Neue nährt. Wir kennen das alle. Neues kann nur entstehen, wenn das Alte sich verändert und Abschiedsschmerz kann weh tun.


Leider lernen wir in der Regel nicht, dass Schmerz so natürlich zum Leben gehört wie das Lachen. In den Gesellschaften die von monotheistischen Religionen geprägt ist, wird Schmerz oft mit Leid gleichgesetzt und Leid wird mit Schuld und Scham verknüpft. Das macht das ganze persönlich.


Wo liegt für mich der Unterschied zwischen Schmerz und Leid und was meine ich damit, wenn ich schreibe, dass es dadurch persönlich wird?


Für mich ist Schmerz das was passiert, wenn sich unangenehme Emotionen spontan zeigen. Leid ist das was passiert, wenn ich mir dazu Geschichten erzähle, die den Schmerz nähren und ihn vergrößern.


Ich will das anhand eines Beispiels etwas greifbarer machen:

Ein geliebter Mensch zieht sich zurück und kommuniziert, dass er gerade mehr zu sich kommen will und den Kontakt deswegen zeitweilig unterbrechen muss. Was kann das auslösen? Möglich wären Gefühle von Wut bis Orientierungslosigkeit, Trauer bis Verlustangst. Alles schmerzhafte Gefühle die entstehen können, wenn der Kontakt einseitig unterbrochen wird. Das ist für mich eine schmerzhafte Erfahrung. Das ist für mich Schmerz.

Leid wird daraus, wenn ich meine Geschichte darauf packe. Das können Gedanken sein wie „Immer wenn ich ihn brauche ist er nicht da.“ Es kann an Glaubenssätze anknüpfen, die ich tief in mir schon lange trage, wie zum Beispiel: „Ich bin nicht liebenswert.“ Oder es geht in den Kampf und es kommen Gedanken wie „Der soll sich nicht einbilden, ich würde ihn noch mal an mich ranlassen.“


Vielleicht merkst du, dass diese Sätze eine Sogwirkung haben können. Wir drehen uns immer weiter in sie hinein und nähren damit das Leid, das in ihnen steckt. Wir machen die Aktion des Gegenübers zu einem Verhalten, das persönlich gegen uns gerichtet ist und laden all unsere Geschichten darauf, die wir bereits in ähnlichen Kontexten erlebt haben. In diesen Momenten geht es nicht mehr nur um die aktuelle Situation, sondern wir durchleben sämtliche Verletzungen die in der Vergangenheit passiert sind.


Könntest du Abstand halten zu diesen Geschichten und ins Hier und Jetzt zurückkommen, würdest du vielleicht merken, dass der Rückzug dich immer noch schmerzt. Die Gefühle von Trauer, Wut und Hilflosigkeit wären immer noch spürbar und gleichzeitig wüsstest du, dass du völlig in Ordnung bist – das mit dir nichts falsch ist. Du könntest dich als das sehen, was du bist: ein wunderbares Wesen, das gerade eine schmerzhafte Erfahrung macht.

Du müsstest dich nicht fragen was du falsch gemacht hast. Du müsstest auch nicht nach Fehlern bei der anderen Person suchen um dir zu versichern, dass seine Abwesenheit kein Verlust darstellt. Du könntest dich vielmehr fragen „was könnte ich mir jetzt selbst Gutes tun?“ „Wie kann ich mir selbst jetzt die Liebe und die Kraft geben, nach der ich mich so sehne?“ Schmerz braucht seine Zeit um sich wieder legen zu können, aber so wird er nicht noch zusätzlich von Geschichten befeuert.


Was können wir also machen, wenn es dunkel wird und sich Scherz breit macht? Wir können uns daran erinnern, dass jeder Nacht ein neuer Morgen folgt und in dieser Nacht können wir Kali einen Ort geben, um ihr Werk zu tun. Wir können uns einen sicheren Ort suchen und uns einkuscheln, vielleicht können wir uns von anderen Menschen stützen lassen oder uns einfach ausruhen.


Wenn es dunkel ist, ist nicht die Zeit um zu rennen. Es ist die Zeit um inne zu halten und uns auf das zu besinnen, auf das wir uns bis zum Tode verlassen können. Unseren Herzschlag, die Luft die uns umgibt, die Schwerkraft, die uns erdet und die Hoffnung, dass auch diese Nacht vom Tag abgelöst werden wird.


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